Wanderausstellung »Karya 1943. Zwangsarbeit und Holocaust«
Erstmals widmet sich eine Ausstellung in Deutschland und Griechenland dem Thema der Zwangsarbeit griechischer Juden unter deutscher Besatzung: »Karya 1943. Zwangsarbeit und Holocaust« ist ab dem 5. September 2024 Im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin-Schöneweide zu sehen.
Karya ist heute ein verlassener Haltepunkt einer stillgelegten Bahnstrecke im Kreis Fthiodia in Mittelgriechenland, 250 Kilometer nördlich von Athen. 1943 müssen 300-500 jüdische Männer aus Thessaloniki an diesem Ort ein Ausweichgleis für Wehrmachtszüge bauen. Die Lebensbedingungen sind katastrophal, nur wenige überleben.
Ausgangspunkt der Ausstellung, die am 4. September im Beisein der Staatministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, eröffnet wird, ist ein einzigartiger Quellenfund: Ein Fotoalbum des deutschen Ingenieurs Hanns Rössler, der im Auftrag der NS-Organisation Todt im Jahr 1943 Bauarbeiten an der Bahnstrecke Athen–Saloniki durchführen ließ. Die historische Fotosammlung, die rund 80 seltene Aufnahmen vom Einsatz der Zwangsarbeiter auf der Baustelle Karya enthält, gelangte 2002 in den Besitz des Sammlers und Forschers Andreas Assael, Sohn eines jüdischen Holocaust-Überlebenden aus Thessaloniki. Ihm gelang es, Zeitzeugen ausfindig zu machen und Einzelheiten des Einsatzes zu recherchieren. Im Rahmen der deutsch-griechischen Wanderausstellung wird das Material nun erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht.
Die Ausstellung ist das Ergebnis eines griechisch-deutschen Bildungsprojekts unter Federführung des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Kooperation mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, der Universität Osnabrück, dem Jüdischen Museums Griechenlands in Athen und der Aristoteles Universität Thessaloniki. Sie wird parallel in Berlin und Griechenland präsentiert.
Dr. Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, sagt über das Projekt:
»Die Ausstellung widmet sich am Beispiel von Karya – einem der zehntausenden nationalsozialistischen Tatorte im besetzten Europa – der Geschichte von Zwangsarbeit und Holocaust in Griechenland, einem Thema, das in beiden Ländern noch immer im Schatten der Erinnerung liegt. Wir möchten mit dieser Ausstellung, die durch beide Länder wandert, dazu beitragen, dass sich vor allem junge Menschen in Griechenland und Deutschland weiter mit der Geschichte ihrer Heimatländer auseinandersetzen und verstehen, welche Traumata die deutsche Besatzung in Griechenland hinterlassen hat, die bis heute nachwirken. Besonders dankbar sind wir den Familien der Überlebenden, die dazu beigetragen haben, dass die Geschichte ihrer Väter, Großväter und Urgroßväter nun gezeigt werden kann.«
Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, führt aus:
»Dieses Ausstellungsprojekt begann mit einem Anruf des damaligen deutschen Generalkonsuls in Thessaloniki, Walter Stechel, im Herbst 2017. Ein dortiger Sammler sei bei ihm vorstellig geworden, ein Herr Andreas Assael. Er habe einmalige Fotos von jüdischen Männern bei einem Zwangsarbeitseinsatz gefunden und den Ort der Aufnahmen identifizieren können. Nach einem durch das Auswärtige Amt finanzierten Pilotprojekt und der darauffolgenden intensiven Ausarbeitung durch die beteiligten Einrichtungen kann nun die Ausstellung ›Karya 1943‹ ihre Wanderschaft beginnen. Wir sind gespannt auf die Reaktionen in Deutschland und Griechenland. Diese Ausstellung kann lediglich ein Anstoß sein, dieses dunkelste Kapitel in der Geschichte beider Länder umfassend aufzuarbeiten, öffentlich zu machen und die zehntausenden jüdischen und nichtjüdischen griechischen Opfer endlich angemessen zu würdigen.«
Ein zentraler Baustein des Projekts waren Forschungen der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften (IAK) an der Universität Osnabrück, die im Frühjahr 2023 den Tatort Karya untersucht hat. Unter der Leitung von Prof. Dr. Christoph A. Rass hatte ein Team von Wissenschaftler/-innen und Studierenden die Aufgabe, den Tatort zu prospektieren, eine digitale Dokumentation des Geländes vorzulegen und den Versuch zu unternehmen, Spuren des Zwangsarbeitseinsatzes und der Menschen, die dort arbeiten mussten, zu suchen und zu dokumentieren. Ergebnisse der Feldforschung werden in der Ausstellung präsentiert.
Prof. Dr. Christoph A. Rass, Universität Osnabrück, erläutert:
»Durch die digitale Dokumentation von Orten wie der Bahnstation Karya, die Suche nach Überresten und Spuren, das Entschlüsseln der materiellen Transformation von Tatorten des Holocausts und anderer NS-Verbrechen will die Konfliktland¬schaftsforschung dazu beitragen, Vergangenheit besser zu verstehen, die Erzählung und Vermittlung ihrer Geschichte zu unterstützen und nicht zuletzt auch die vielen noch unbekannten Gräber von Opfern der vernichtenden Gewalt, die von Deutschland in der NS-Zeit ausgegangen ist, zu finden, zu dokumentieren und zu sichern. In Karya konnten wir mit unserer Arbeit einen Beitrag dazu leisten, diese Geschichte, die nun mit einer griechisch-deutschen Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert wird, wieder ans Licht zu holen.«
Gefördert wird das Bildungs- und Ausstellungsprojekt »Tödliche Zwangsarbeit in Karya. Deutsche Besatzung und Holocaust in Griechenland« im Rahmen der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen.
Dr. Andrea Despot, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ), betont:
»Auch achtzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist die deutsche Besatzung Griechenlands in der deutschen Gesellschaft kaum bekannt. Umso wichtiger sind Projekte, die neue Quellen zugänglich machen und auch bislang vergessene Tatorte erforschen. Durch ihren konsequent transnationalen und multiperspektivischen Ansatz hat die Sonderausstellung ›Karya 1943. Zwangsarbeit und Holocaust‹ das Potenzial, zu Debatten über Vergessen, Verdrängen und Erinnern anzuregen und Erinnerungslücken über Grenzen hinweg zu schließen – ganz im Sinne der Stiftung EVZ und des Förderprogramms Bildungsagenda NS-Unrecht.«
Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft der Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, sowie der griechischen Kulturministerin Lina Mendoni.
——————————————————————————————————
Vollständige Pressemappe mit vertiefenden Informationen zum Download (PDF):
Pressefotos zum Download:
https://www.ns-zwangsarbeit.de/de/presse-und-fotos/fotos/
Website zur Ausstellung (ab 04. September abends):
——————————————————————————————————
»Karya 1943. Zwangsarbeit und Holocaus«
5. September 2024 – 30. März 2025
Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Britzer Straße 5, 12439 Berlin-Schöneweide
geöffnet Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr | Eintritt frei
Eine Zwillings-Ausstellung wird parallel in Griechenland präsentiert:
17. Oktober 2024 – 16. Februar 2025
Benaki-Museum | PIREOS 138
138 Pireos & Andronikou St., 118 54 Athen
geöffnet Donnerstag, Sonntag 10 bis 18 Uhr / Freitag, Samstag 10 bis 22 Uhr
Tickets: https://tickets.benaki.org
Kontakt:
Gesine Beutin, Pressesprecherin /Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Stiftung Topographie des Terrors, Niederkirchnerstraße 8, 10963 Berlin, Tel. +49 30 254509-35, presse@topographie.de, beutin@topographie.de, www.topographie.de
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, presse@stiftung-denkmal.de, Tel.: +49 30 26 39 43 26