»Im Geiste der Toleranz und des Brückenbaus« – Nachruf auf Edward Anders

Eduards Alperovičs, der sich später Edward Anders nannte, war ein feinsinniger Geist, ein wahrer Intellektueller, ein warmherziger Mensch, dessen Deutsch – seine Muttersprache – auch nach Jahrzehnten in den USA makellos war und allein den weichen baltischen Einschlag trug. Eduards war ein herausragender Jahrhundertzeuge des deutschsprachigen lettischen Judentums – einer während der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft zwischen 1941 und 1945 ausgelöschten Welt, der (wahrscheinlich) letzte Überlebende aus der Ostseehafenstadt Libau (Liepāja).

Eduards wuchs in einer wohlhabenden Familie auf und erlebte eine unbeschwerte Kindheit im unabhängigen Lettland. »Als Stalin im Juni 1940 Lettland – mein Vaterland – brutal überfiel, war ich einer von vielen lettischen Patrioten, die angesichts dieser perfiden Aggression alarmiert waren. Am 14. Juni 1941 entging ich nur knapp der Deportation in die UdSSR. Doch wenige Tage später, als Hitler die Sowjetunion angriff und die Rote Armee rasch aus Lettland vertrieb, war ich einer von 90.000 lettischen Juden, denen plötzlich der Tod drohte. Der Holocaust begann mit einem Schlag. Juden wurden zu Dutzenden, Hunderten und Tausenden erschossen …«, – darunter sein Vater und 24 weitere Verwandte. Mit einer List überlebten seine Mutter und er, bis ihnen 1944 die Flucht in das Deutsche Reich gelang. Nach 1945 studierte Eduards als Displaced Person Chemie in München und unterstützte die Anklage bei den Nürnberger Prozessen. 1949 wanderte er in die USA aus und wurde einer der weltweit bedeutendsten Meteoritenforscher. Nach den Umbrüchen 1989/90 und der Wiedererlangung der lettischen Unabhängigkeit engagierte Eduards sich für ein würdiges Gedenken an die ermordeten jüdischen Kinder, Frauen und Männer seiner Heimatstadt. Er sah sich als Brückenbauer zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Juden und Nichtjuden. Vor allem aber lag ihm an einer ausgewogenen Sicht auf die Rolle seiner lettischen »Landsleute« während des Holocaust. 2011 erschien seine Autobiografie auf Englisch in Riga, die die Stiftung Denkmal 2024 auf Deutsch in ihrer Zeitzeugenreihe veröffentlichte. Eduards las detailversessen Korrektur und fand sich in der Übersetzung wieder. Die Herausgabe in seiner Muttersprache war für ihn und für die Stiftung ein großes, wichtiges Ereignis, wie auch die Vorstellung zusammen mit I. E. der Lettischen Botschafterin Alda Vanaga und der Lesung durch Sylvester Groth in der Hessischen Landesvertretung am 6. Juni 2024. Bis zuletzt blätterte er immer wieder in seinem Buch.

Gestern, am 1. Juni 2025, ist Eduards drei Wochen vor seinem 99. Geburtstag in der Nähe von San Francisco verstorben.

Die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Botschaft der Republik Lettland in Berlin trauern voller Dankbarkeit, Zuneigung und Stolz, um eine großartige Persönlichkeit und eine gewichtige Stimme wider das Vergessen. Unsere Gedanken sind in diesen schweren Stunden des Schmerzes und Verlustes bei seinen Kindern Nanci und George.