Eine Urenkelin aus der jüdischen Familie Krelitz besuchte am 18. Juni 2025 den Ort der Information.
Alexis Sherman wird aufmerksam zugehört: Im Raum der Familien am Ort der Information ist es still, als sie über ihre Urgroßmutter Lea erzählt. Alexis ist eine junge US-Amerikanerin und weilt mit anderen transatlantischen Mitreisenden für zehn Tagen in Berlin. Sie nehmen an dem vom Marshall Fund mitfinanzierten Programm Germany Close Up teil, das im Falle von Alexis´ Gruppe vom American Jewish Committee und der Allianz-Versicherung ausgestaltet wird.
Alexis lebt heute in den USA, aber die Geschichte, die sie erzählt, spannt einen Bogen von Litauen bis Mexiko. Die Familie Krelitz, der sie entstammt, gehörte zur jüdischen Gemeinde in Jurburg, litauisch Jurbarkas. Mit über 1.300 Mitgliedern machte diese knapp 30 Prozent der Stadtbevölkerung aus. Das Schtetl an der Memel befand sich unweit der damaligen Grenze zwischen dem deutschen Ostpreußen und Litauen, und war seit 1940 wie das übrige Litauern sowjetisch besetzt.
Schon 1927 hatte eine Tochter der Familie Krelitz, Rivka, ihre europäische Heimat verlassen und war nach Mexiko ausgewandert. Ihre Schwester Lea besuchte sie zehn Jahre später. Alexis berichtet, dass ihre Urgroßmutter eigentlich nicht in Mexiko bleiben wollte, aber von den Verwandten aus Jurburg gewarnt wurde. Die immer aggressiver auftretenden Nationalsozialisten im benachbarten Deutschland wurden als Bedrohung auch für die litauischen Juden wahrgenommen. Die Briefe, die der Bruder Mosche schrieb, und die Mexiko erhalten blieben (Alexis liest Übertragungen ins Englische vor), sprechen eine deutliche Sprache. Lea blieb in Mexiko.
Mit dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion Ende Juni 1941 rückten deutsche Truppen in Jurbarkas ein. Der Leiter der SS-Einsatzgruppe A, Stahlecker, ordnete an, Juden und Kommunisten in einem 25 Kilometer breiten Grenzstreifen zum Deutschen Reich zu ermorden. In Jurbarkas erschossen SS- und Polizeieinheiten am 3. Juli 317 Männer und fünf Frauen. Es folgten mindestens vier weitere Massenerschießungen durch die SS und litauische Hilfskräfte. Der Zeitpunkt der Ermordung der Familie Krelitz ist nicht mehr festzustellen. Ende September 1941 lebten in Jurbarkas keine Juden mehr.
Leahs Sohn Max Sherman (Alexis´ Großvater) verbrachte die Briefe aus Litauen später in das Archiv der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem. Zudem trat er in Verbindung mit einem entfernten Verwandten in den USA, Joel Alpert, der in den 1990er Jahren, sehr früh mit Entwicklung des Internets, Familienmaterialien online gestellt hatte. Auf diese Weise ist auch die Stiftung Denkmal auf die Familiengeschichte Krelitz aufmerksam geworden. Joel Alpert und die Familie Sherman waren bei der Eröffnung des Holocaustdenkmals im Mai 2005 zugegen.
So schließt sich der Kreis zum Ort der Information und zum Besuch von Alexis Sherman. Im Anschluss an ihren Bericht überreichte Alexis ein Kunstwerk, das sie in Auftrag gegeben hat: Ein Bild der Berliner Mauer, in der die Künstlerin Familienfotos der der Familie Krelitz als virtuelle Graffitis auf die Mauer gezeichnet hat. Ein künstlerischer Brückenschlag der ganz anderen Art zur Geschichte Berlins.
